Kwestia: starke Abwehr hinter der Maske

Zu den für COVID-19-Erkrankung besonders Anfälligen zählen Menschen im fortgeschrittenen Alter, Übergewichtige, Menschen, die an hohem Blutdruck, an Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder/ und an Diabetes leiden, Männer sowie ausserhalb der Tropen lebende Menschen mit dunklerer Hautfarbe [1]. All diesen Gruppen gemeinsam ist ein häufig beobachteter Mangel an Vitamin D [1], der mit einem schweren Verlauf von Atemwegserkrankungen einhergeht [3, 4].

Das Vitamin D wird den meisten Lesern dafür bekannt sein, dass es für die Knochengesundheit verantwortlich ist. Nur wenige dürften hingegen wissen, dass es als Hormon eine sehr wichtige und vielfältige Rolle bei der Regulation der Funktionen des Immunsystems (Abwehr vs. Toleranz) spielt. Vitamin D beeinflusst Zellen des angeborenen (Macrophagen, Monocyten, antigenpräsentierende Zellen, natürliche Killerzellen) und des erworbenen Immunsystems (T- & B-Lymphozyten) sowie die Funktion der innersten Gefässwandschicht, die Gefässdurchlässigkeit und die Darmschleimhaut [7].                                                                                                                   
Die Definition der Normwerte von Vitamin D im Blutserum variiert je nach Fachgesellschaft [11], liegt meistens zwischen 50 und 75 nmol/L und geht teilweise auch über 75 nmol/ L hinaus [2]. Studien zeigen, dass etwa 50% der Schweizer Bevölkerung Vitamin D Konzentrationen von weniger als 50 nmol/L und nur knapp 30% der Schweizer Werte von mehr als 75 nmol/L aufweisen [2]. Sehr gravierend ist der Mangel an Vitamin D bei Personen, die über 80 Jahre alt sind. Bei bis zu 90% von ihnen beträgt er unter 25 nmol/L [11].

Zahlreiche Studien haben inzwischen einen starken Zusammenhang zwischen Vitamin-D-Mangel und dem Schweregrad einer COVID-19-Erkrankung aufgezeigt. Im Folgenden beschreibe ich vier Beispiele.

- Eine Analyse von 42 Patienten aus Italien hat aufgezeigt, dass Patienten mit einem starken Vitamin-D-Mangel (weniger als 25 nmol/L) nach 10 Tagen eines Krankenhausaufenthaltes eine 50 % Sterbewahrscheinlichkeit hatten, wohingegen Patienten mit höheren Werten als 25 nmol/L eine Sterbewahrscheinlichkeit von 5% aufwiesen [5].
- Andere Forscher haben gezeigt, dass die durchschnittlichen Vitamin-D-Werte der Menschen in verschiedenen europäischen Ländern sich umgekehrt proportional zur Anzahl der Fälle und zur Sterblichkeit verhalten, d.h. je tiefer die durchschnittlichen Vitamin-D-Werte in einem Land sind umso höher sind die Fall- und Sterbezahlen in diesem Land [8].
- In einer weiteren Studie wurden 91 COVID-19-Patienten ohne Krankheitssymptome und 63 COVID-19-Patienten, die einer intensivmedizinischen Betreuung bedurften, hinsichtlich ihrer Vitamin-D-Werte, Entzündungsmarker und Sterblichkeit analysiert. In der asymptomatischen Gruppe wiesen knapp 33% (29 von 91) einen Mangel an Vitamin D auf, in der schwerst erkrankten Gruppe waren es fast 97% (61 von 63). Auch die Entzündungsparameter waren bei den schwerst erkrankten Patienten bedeutend höher als bei den asymptomatischen Patienten. Es sind 20 Patienten auf der Intensivstation verstorben (32%) und ein symptomloser Patient (1%). Wenn man die Sterblichkeit rein auf die Vitamin-D-Werte bezieht, dann verstarben 21% (19 von 90) der Patienten mit einem Vitamin-D-Mangel und 3% (2 von 64) der Patienten mit einem normalen Vitamin-D-Wert [9].
- In einer spanischen Pilotstudie wurden 76 COVID-19-Patienten einer Standard-Therapie unterzogen. Fünfzig dieser Patienten wurden per Zufall ausgesucht um zusätzlich hohe Vitamin-D-Dosen (genauer gesagt eines Zwischenproduktes des Vitamin-D-Stoffwechsels) zu bekommen (am 1., 3. und 7. Tag des Krankenhausaufenthaltes und dann wöchentlich bis zur Entlassung) während 26 Patienten nur die Standard-Therapie erhielten. Von den mit Vitamin D behandelten Patienten musste nur 1 Patient (2%) auf die Intensivstation verlegt werden und keiner ist gestorben, bei den Patienten ohne Vitamin-D-Gabe waren es 13 (50%), die intensivmedizinisch betreut werden mussten und 2 von ihnen sind verstorben [6, 10].

Die Meisten der bisher erschienenen Studien und Berichte zum Zusammenhang zwischen COVID-19 und Vitamin D haben ihre Schwächen und Stärken sowie Grenzen. Oft weisen sie kleine Patientenzahlen auf und/oder genügen nicht den höchsten methodologischen Standards, was in den meisten Fällen in den Umständen und der Kürze der Zeit, in denen sie entstanden sind, begründet liegt. Dennoch kann man, auch wenn man die Befunde sehr vorsichtig interpretiert, sagen, dass Vitamin D Werte im Normbereich den Verlauf einer COVID-19-Erkrankung mildernd zu beeinflussen, wenn auch nicht zu verhindern, scheinen. Daher ist die Empfehlung gerechtfertigt, die eigenen Vitamin-D-Werte überprüfen zu lassen und sie gegebenenfalls auf ein Normalniveau zu bringen.
Wie so oft sind nicht nur zu tiefe Konzentrationen zu vermeiden sondern auch zu hohe. Bezüglich der Definition zu hoher, d.h. potentiell giftiger Konzentrationen von Vitamin D herrscht in der Fachwelt leider keine Einigkeit. Meistens werden höhere Werte als 220 nmol/L, die über mehrere Monate bestehen als toxisch betrachtet [2].

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Mit den Nahrungsmitteln werden in der Schweiz im Jahresverlauf konstant lediglich etwa 10% der empfohlenen täglichen Vitamin-D-Menge aufgenommen [12]. Die besten natürlichen Quellen des Vitamins D können der oben stehenden Tabelle entnommen werden.
Der überwiegende Teil der täglich notwendigen Dosis (0,024 Milligramm) würde idealerweise in unserer Haut mit Hilfe der natürlichen Sonneneinstrahlung produziert. Im Sommer produziert ein Erwachsener mit entblössten Armen (= etwa 22% der gesamten Hautoberfläche) ohne eine Sonnenschutzcreme in der Tagesmitte innerhalb von 10-15 Minuten die empfohlene Dosis. Ein wenige Minuten längerer Sonnenbad kann aber bereits zum unerwünschten Sonnenbrand führen. Im Winter, wenn mit dem Gesicht und den Händen lediglich 8%-10% der Hautoberfläche der Sonne ausgesetzt sind, bräuchte es mindestens 6.5 Stunden, um dieselbe Menge zu produzieren. Dieses Ziel ist im Winter in der Schweiz nicht realisierbar, so dass eine Nahrungsergänzung mit Vitamin-D-Präparaten erwogen werden sollte [12]. Die zur täglichen Aufnahme in der Schweiz empfohlenen Vitamin-D-Mengen sind in der folgenden Tabelle gelistet.

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Haftungsausschluss: Ich weise die Leser darauf hin, dass es sich bei den oben stehenden Empfehlungen um keine individuelle medizinische Beratung handelt, und dass sie eine Besprechung Ihrer Vitamin-D-Versorgung mit Ihrer Ärztin/ Ihrem Arzt nicht ersetzen sollen.


Literatur
1. Benskin, Linda L. "A basic review of the preliminary evidence that COVID-19 risk and severity is increased in vitamin D deficiency." Frontiers in public health 8 (2020): 513.
2. Bischoff-Ferrari, Heike, et al. "Empfehlungen der Eidgenössichen Ernährungskommission zur Vitamin-D-Zufuhr für die Schweizer Bevölkerung." Swiss Medical Forum. Vol. 12. No. 40. EMH Media, 2012.
3. Brenner, Hermann, Bernd Holleczek, and Ben Schöttker. "Vitamin D insufficiency and deficiency and mortality from respiratory diseases in a cohort of older adults: potential for limiting the death toll during and beyond the COVID-19 pandemic?." Nutrients 12.8 (2020): 2488.
4. Caristia, Silvia, et al. "Vitamin D as a biomarker of ill health among the over-50s: A systematic review of cohort studies." Nutrients 11.10 (2019): 2384.
5. Carpagnano, Giovanna Elisiana, et al. "Vitamin D deficiency as a predictor of poor prognosis in patients with acute respiratory failure due to COVID-19." Journal of endocrinological investigation (2020): 1-7.
6. Castillo, Marta Entrenas, et al. "Effect of calcifediol treatment and best available therapy versus best available therapy on intensive care unit admission and mortality among patients hospitalized for COVID-19: A pilot randomized clinical study." The Journal of steroid biochemistry and molecular biology 203 (2020): 105751.
7. Charoenngam, Nipith, and Michael F. Holick. "Immunologic effects of vitamin D on human health and disease." Nutrients 12.7 (2020): 2097.
8. Ilie, Petre Cristian, Simina Stefanescu, and Lee Smith. "The role of vitamin D in the prevention of coronavirus disease 2019 infection and mortality." Aging Clinical and Experimental Research (2020): 1-4.
9. Jain, Anshul, et al. "Analysis of vitamin D level among asymptomatic and critically ill COVID-19 patients and its correlation with inflammatory markers." Scientific reports 10.1 (2020): 1-8.
10. Jungreis, Irwin, and Manolis Kellis. "Mathematical analysis of Córdoba calcifediol trial suggests strong role for Vitamin D in reducing ICU admissions of hospitalized COVID-19 patients." medRxiv (2020).
11. Lips, Paul, et al. "Current vitamin D status in European and Middle East countries and strategies to prevent vitamin D deficiency: a position statement of the European Calcified Tissue Society." European Journal of Endocrinology 180.4 (2019): P23-P54.
12. Religi, Arianna, et al. "Estimation of exposure durations for vitamin D production and sunburn risk in Switzerland." Journal of exposure science & environmental epidemiology 29.6 (2019): 742-752.